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Psychologische Gutachten im Familienrecht

Unter einem psychologischen Gutachten versteht man "eine wissenschaftliche Leistung eines qualifizierten psychologischen Sachverständigen" (Zuschlag, 2006, S.13). Dabei werden, auf der Grundlage von aktuellen und wissenschaftlich anerkannten Untersuchungsmethoden, die vom Auftraggeber (Gericht) aufgeworfenen Fragen anhand von Aktenanalyse und selbst erhobener Daten beantwortet.

Ich erstelle psychologische Gutachten und Stellungnahmen nach den Vorgaben der Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten (2019, "Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht").

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Arbeitsweise in Praxis und Theorie

Operationalisierung der psychologischen Fragen

Um die psychologischen Fragen nach wissenschaftlichen Standards beantworten zu können, müssen entsprechende Informationsquellen systematisch und begründet ausgesucht werden. Bei der Suche nach geeigneten Verfahren zur Informationsgewinnung soll bei Verfahren mit der höchsten Standardisierung begonnen werden. Die Informationsquellen sollen im Gutachten allgemein verständlich beschrieben werden (Westhoff et al., 2014, Kapitel 7). Zur Klärung der psychologischen Fragen sollte ein multimodales Vorgehen gewählt werden (Hommers, 2008; Rohmann, 2008; Salzgeber, 2011, Abs. 2076). Soweit möglich werden hierzu die Informationen aus standardisierten Fragebögen, standardisierten und halb-standardisierten Interviews, Verhaltensbeobachtung und der Aktenanalyse zusammengeführt (Castellanos et al., 2014, S. 50ff).

Methoden

Für die im familienrechtlichen Kontext zu erstellenden psychologischen Gutachten, gibt es keine gesetzlichen Regelungen bezüglich der anzuwendenden Methoden (Salzgeber, 2011, S. 2141). Allerdings gibt es rechtliche, methodische und ethische Anforderungen, die sich aus dem Familienrecht und aus den Standards wissenschaftlicher psychologischer Diagnoseforschung ableiten lassen.

Zu den rechtlichen Anforderungen gehört die Maßgeschneidertheit der familienrechtlichen Diagnostik. Dies bezieht sich zum einen auf die Kriterienausschöpfung und zum anderen auf die Gleichbehandlungspflicht. Die Ausschöpfung der juristisch vorgegebenen Kriterien setzt voraus, dass die untersuchten Merkmale mit dem Untersuchungsinstrument, im Sinn von Inhaltsvailide, aufgeklärt werden können. Es sollen zur Urteilsbildung alle aus der richterlichen Fragestellung hervorgehenden Merkmale in die Untersuchung eingehen (Hommers, 2001). Gleichzeitig sollen im Sinne der Sparsamkeit und zur Wahrung der Integrität der Untersuchten keine Merkmale untersucht werden, die nicht direkt mit der Fragestellung im Zusammenhang stehen (vgl. Salzgeber, 2011, Abs. 2145). In der Praxis mangelt es an in diesem Sinne familienrechtlich maßgeschneiderten psychologischen Verfahren (Hommers, 2001, 2008; Hommers et al., 2013; Leitner, 2000; Salzgeber, 2011, Abs. 2074).

Aus psychologischer Perspektive sind für die Beurteilung der Testverfahren die gängigen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität, Normierung, Vergleichbarkeit, Ökonomie, Nützlichkeit) anzuwenden (Lienert et al., 1998, Kapitel 1.2). In der Praxis der familienrechtlichen Begutachtung werden allerdings auch projektive Verfahren angewandt, akzeptiert und methodisch verteidigt. Dies geht zum einen auf die Nähe der Untersuchungsobjekte zu anderen Wissenschaftsbereichen (Soziologie, Pädagogik, etc.) zurück und zum anderen auf deren komplexen systemischen Zusammenhang, bei der eine „einseitige Orientierung an Testgütekriterien“ die Erfassung der relevanten Informationen verhindern könnte (Salzgeber, 2011, Abs. 2076ff).

Interview

Das entscheidungsorientierte Gespräche stellt ein flexibles Instrument dar. Mit ihm können alle zu untersuchende Konstrukte erfasst werden. Ein individuell auf den Fall ausgearbeiteter Gesprächsleitfaden strukturieren die Durchführung der diagnostischen Gespräche, mit dem Ziel einer möglichst hohen Durchführungsobjektivität. So kann die Güte des „Messinstruments Gespräch“ erhöht werden und die Belastungen für den Interviewten und den Interviewer reduziert werden (Westhoff et al., 2014, Kapitel 12).

Im Sinne eines multimodalen Ansatzes werden die Erkenntnisse aus den Interviews mit Verhaltensbeobachtung und standardisierten Testverfahren kombiniert.

Tests

Zunächst ist nicht anzunehmen, dass man ein psychologisches Verfahren als uneingeschränkt geeignet bezeichnen kann. Da eine Abwägung unterschiedlicher, sich gegenseitig widersprechender, Anforderungen vorgenommen werden muss. Zum Beispiel die zwischen einer möglichst hohen Standardisierung zur Gewährleistung hoher Objektivität und statistischer Auswertbarkeit, im Spannungsverhältnis zur praktischen Relevanz und Aussagefähigkeit der Ergebnisse in einer komplexen psychologischen Fragestellung. In Bezug auf methodische und statistische Aspekte der Test gibt es aber einige Kriterien zur Einschätzung der Geeignetheit der Tests (Bühner, 2011, Kapitel 2.4) für Einzelfalldiagnostik und speziell für Interindividuelle- und Profilvergleiche (Lienert et al., 1998, Kapitel 15).

Beispiel

Soll z.B. die Frage beantwortet werden, ob ein Elternteil die Sorge für das Kind besser ausüben kann als der Andere, wäre es ideal, wenn ein Testverfahren in der Lage wäre, diese Frage statistisch abgesichert zu beantworten. Dabei ist die Nullhypothese, dass es keinen Unterschied in der Eignung zwischen den Elternteilen gibt. Da es kein Testverfahren gibt, dass in diesem Fall die Frage vollständig klären könnte und eine Vollerhebung unangemessen wäre, müssen Testverfahren gefunden werden, die relevante Teilbereiche der Fragestellung statistisch abgesichert beantworten können.

 

Zur Beurteilung der Bindung und der Eltern-Kind-Beziehung könnte „Der Elternbildfragebogen für Kinder- und Jugendliche (EBF-KJ) von K. Titze, U. Lehmkuhl“ ausgewählt werden („Elternbildfragebogen für Kinder und Jugendliche“, 2014). Er ist geeignet für Probanden im Alter von 10-20 Jahre. Das Verfahren erfüllt, nach Hommers und Steinmetz-Zubovic (2013, S. 316f), weitgehend „die Anforderungen an psychometrische maßgeschneiderte Verfahren für die Familienrechtspsychologie“. Andere Autoren sehen das Verfahren zwar nicht als maßgeschneidert an, beurteilen aber das „Gleichbehandlungsprinzip“ und die „zufallskritische Prüfbarkeit“ als gegeben (Skatsche & Rominger, 2013, S. 332). Es besteht die Möglichkeit zur statistisch abgesicherten Beurteilung der Elterndiskrepanz mittels T-Werte. Die ist bei dieser Fragestellung besonders wichtig und kann die diesbezüglichen Einschränkungen im ESF ausgleichen (siehe ESF). Das Instrument misst Ressourcen und Risikofaktoren in den 10 Dimensionen (Kohäsion, Identifikation mit den Eltern, erlebte Autonomie, Konflikte mit den Eltern, unangemessene Bestrafung, erlebte Ablehnung oder Gleichgültigkeit der Eltern, emotionale Vereinnahmung, Überprotektion durch die Eltern, Diskrepanz zwischen den Elternrepräsentationen, lebenspraktische Hilfe). Wenn Hinweise auf psychische Labilität / Suizidalität eines Elternteils vorliegen, diese Anhaltspunkte aber keine klinische Diagnostik oder erweiterte Persönlichkeitsdiagnostik rechtfertigen können (keine richterliche Fragestellung im Sinne einer Kindeswohlgefährdung), sollen die Dimensionen zu den Risikofaktoren dazu dienen einen möglichen Einfluss von psychischer Labilität eines Elternteils auf die Förderkompetenz aufdecken zu können. Im Bezug auf die Nützlichkeit, Sparsamkeit und Verhältnismäßigkeit erscheint mir der EBF-JK besonders geeignet.

Für den Test gibt es zwei Normierungsstichproben eine klinische und eine nichtklinische rekrutiert aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (N = 1377). Die Normierungsstichprobe wurde in den Jahren 2003-2008 untersucht und ist nicht repräsentativ (Titze et al., 2010). Die 9-faktorielle Struktur konnte faktorenanalytisch mit bestätigt werden. Für die Muttervariante (χ² = 1916, DF = 558, SRMR = .065, RMSEA = .061) und Vatervariante (χ² = 2002, DF = 558, SRMR = .068, RMSEA = .065), berichten die Autoren einen akzeptablen Modell-Fit (vgl. Bühner, 2011, Kapitel 7). Die interne Konsistenz der Skalen (in der 9. Skalen-Version) liegt bei α = .75 (SE = .363, SD = 10) für die nichtklinische Gruppe. Bis auf die Subskalen „Bestrafung“ und „Hilfe“ werten Werte für Cronbachs α von > .7 erreicht. Für die Retest-Reliabilität werden für den Gesamtindex rtt = .84 und Subskalen Werte zwischen rtt = .65 und rtt = .91 berichtet (Titze et al., 2010) und sind damit als niedrig bis akzeptabel zu bewerten (vgl. Bühner, 2011, Kapitel 2). Der Test zeigt sich gegen Verzerrungen durch sozial erwünschtes Antwortverhalten relativ robust. Zur Testauswertung stehen T-Werte, Mittelwerte, Standardabweichungen, Standardmessfehler, Konfidenzintervalle, getrennt nach Geschlecht, Altersgruppe und Mutter-Vater-Version zur Verfügung. Damit können die Mutter-Vater-Differenzen statistisch gegen den Zufall abgesichert werden.

Alternative Verfahren erscheinen weniger geeignet. Der ESI bleib sowohl wegen veralteter Normierung und schlechterer Reliabilität als auch wegen niedriger Erwartung an den Erkenntnisgewinn zurück (Hommers et al., 2013; Krohne & Pulsack, 1990). Ähnlich verhält es sich mit dem FIT (Remschmidt & Mattejat, 1999) und dem FRT, für den nur für Vorschulkinder neuer Normen vorliegen („PSYNDEX“, 2014). Andere inhaltlich geeignete Testverfahren (SURT, FRT) haben keine Normierung im gesuchten Altersbereich (Hommers, 2009)

Um die Eltern-Kind-Beziehung auch aus der Elternperspektive standardisiert Untersuchen zu können, kann das Fragebogeninstrument Parent-Child Relationship Inventory (PCRI) in der deutschen Version von Steinmetz und Hommers (2003) ausgewählt werden, weil es als maßgeschneidert für familienrechtliche Fragestellungen gelten kann. Die interne Konsistenz der Skalen „gegenseitige Zuwendung“, „Belastung durch die Elternschaft“, „traditionelle Rollenorientierung“ erfüllen das Kriterium (α < .7). Die Skala „Sorge um das Kind“ liegt α = .64‑.71 etwas zu niedrig. Es wurde versucht, die Messungen, durch eine spezielle „Sorgerechtsinstruktion“, gegen die Verfälschung durch die Begutachtungssituation versucht abzusichern. Dabei blieb die interne Konsistenz der ersten drei Skalen > .7 ( α = .77 ‑ .93), die Skala „Sorge um das Kind“ erreichte α = .57 ‑ .64. Da es einen signifikanten Unterschied zwischen den Instruktionen gibt, sollte zur Testung der Vergleich mit den Norm-Werten für starke Sorgerechtsinstruktion gewählt werden. Bei diesem Verfahren handelt es sich um keinen kommerziellen Test. Der Test und die Normwerte sind beim Autor erhältlich, somit können alle notwendigen Kennwerte gebildet werden. Trotzdem muss die Verwendbarkeit als eingeschränkt beurteilt werden und kann nur im Zusammenspiel mit den anderen Verfahren zur Beurteilung nützlich sein. Der Test ist meiner Meinung nach zurzeit die bestmögliche Wahl, da das aktuelle und vielversprechende „Eltern-Erziehungsstil-Inventar (EEI)“ von Lars Satow bisher noch über keine Verbreitung und Anerkennung verfügt („EEI - PSYNDEX Test“, o. J.).

 

Aktenanalyse

Bei jeder gutachterlichen Tätigkeit ist die Auseinandersetzung mit den Vorabinformationen aus den zugänglichen Akten unabdingbar. Die Aktenanalyse hat dabei verschiedene Funktionen. Im einfachsten Fall dient sie der systematischen Aufarbeitung der verschriftlichten Informationen zu einem Fall, um einen Sachverhalt im Zeitverlauf überblicken zu können und auszuschließen, dass relevante Vorabinformationen und Anknüpfungspunkte übersehen werden. Meist dürften aber entsprechende Anknüpfungspunkte in der Akte vorliegen, sodass die Analyse der Akten sowohl zur Klärung der Vorgeschichte, als auch zur Generierung neuer Hypothese genutzt werden kann (Zuschlag, 2002, S. 150ff).

Es existieren keine verbindlichen Richtlinien zur Durchführung einer wissenschaftlich fundierten Aktenanalyse (Salzgeber, 2011, Abs. 2195). Mehrere Autoren empfehlen hierzu die Nutzung von Strukturierungshilfen. Zuschlag (2006, S. 151) gibt dem Leser eine Checkliste mit Schwerpunkten an die Hand, mit deren Hilfe die Akten systematisch gesichtet werden können. Differenziertere Ergebnisse sind mit einer individuellen Strukturierung auf Basis der speziellen Anforderungen des Falls und in Bezug auf die Fragestellung zu erzielen. Dabei sind eigene psychologische Kriterien zu spezifizieren, aufgrund deren sich die Anknüpfungspunkte in den Akten bewerten lassen (Salzgeber, 2011, Abs. 2195). In der Anlage befindet sich eine nach den Anforderungen der Aufgabe 2b) modifizierte Strukturierungshilfe in Anlehnung an Zuschlag (2002, S. 151), wie sie vom Autor zur Aktenanalyse verwendet wurde.

Die Angaben in den Akten können sich auf unterschiedlichem Objektivitätsniveau befinden. Der Sachverständige hat die Aufgabe die Informationen dementsprechend zu bewerten, ohne dabei den objektiveren Informationen zu leichtfertig zu Vertrauen oder den subjektiveren zu wenig Beachtung zu schenken. So haben zwar Eingaben der Parteien, die der Anwälte und im Allgemeinen auch die von diesen beauftragten Atteste und Gutachten ein geringes Objektivitätsniveau, trotzdem bieten sie wertvolle Informationen zum Problemverlauf oder wichtige Anknüpfungspunkte für weitere Fragen. So kann ein ärztliches Attest über Hämatome nach angeblicher häuslicher Gewalt Anlass geben, Konfliktlösefähigkeiten oder Aggressionsmanagement bei den Beteiligten näher zu Untersuchungen, um Rückschlüsse auf deren Erziehungsfähigkeit ziehen zu können (vgl. Salzgeber, 2011, Abs. 2197; Zuschlag, 2002, Kapitel 3.3.3.2).

Mit besonderer Sorgfalt sind auch unparteiische Vorabinformationen aus bereits zuvor erstellten Gutachten, Teilgutachten und ärztlichen oder psychologischen Befunden zu prüfen. Einerseits sollen unnötige Doppelarbeiten im Sinne ökonomischen Vorgehens vermieden werden, andererseits ist die Prüfung der Güte eines wissenschaftlichen Gutachtens unter Umständen mit erheblichem Aufwand verbunden (Proyer & Ortner, 2010, S. 152ff; vgl. Zuschlag, 2002, Kapitel 3.2.3.3).

Für die Darstellung der Aktenanalyse im schriftlichen Gutachten gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zum einen kann sie zu Beginn des Gutachtens zur Darstellung des Sachverhalts noch vor der Nennung der psychologischen Fragen ihren Platz finden. An dieser Stelle ist darauf zu achten, dass die Aktenanalyse keine reine Reproduktion der Aktenlage sein darf (Kröber, 2009). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Akten bei den Leser_Innen bekannt oder für diese zugänglich sind. Die schriftliche Aktenanalyse soll an dieser Stelle die Sachverhalte in Bezug auf die Fragestellung gestraft und reduziert wiedergeben (Kröber, 2009; Zuschlag, 2002, S. 150). Zum Anderen kann die Aktenanalyse selbst den Charakter einer wissenschaftlichen Untersuchung annehmen. Die, auf diese Art, gewonnen Ergebnisse, gehören dann folgerichtig in den Hauptteil des Gutachtens, in dem die eigenen Untersuchungsergebnisse berichtet werden (Zuschlag, 2002, S. 138, 151).

Bei der Verschriftlichung der Akten ist zu beachten, dass der Leser zwischen den wiedergegebenen Aussagen und den Aussagen des Gutachters unterscheiden kann. Deshalb ist bei der Wiedergabe von berichteten Aussagen, das Konjunktiv I zu verwenden (Westhoff & Kluck, 2014, S. 138). Überprüfte objektivierbare Aussagen (Geburtsdaten, Schulnoten, Wohnsitz etc.), sowie Tatsachen (Gerichtsbeschlüsse, Urteile etc.) die sich aus den Akten ergeben, können im Indikativ stehen.

Kindeswohlrelevante Konstrukte und Formulierung der psychologischen Fragen

Psychologische Theorie und Modelle – Bedeutsamkeit der Konstrukte

Überlegungen zur Beantwortung der Frage „wer die geeignetere Person zur Erziehung des Kindes ist“ evtl.  „auch unter der Maßgabe der Erziehungskontinuität, Geschwisterbindung … “:

Eine viel zitierte Systematik der Kindeswohlkriterien erarbeitet Dettenborn (2008a, S. 578). Dabei unterscheidet er zum einen elternbezogenen Kindeswohlkriterien (Erziehungsfähigkeit und Förderkompetenz, Kooperationsbereitschaft und Bereitschaft zur Trennung zwischen Paarebene und Elternebene, sowie Bindungstoleranz) und kindbezogene Kindeswohlkriterien (Bindung zu Bezugspersonen, Geschwisterbeziehung, Kindeswille sowie personale und lokale Kontinuität).

Das Gesetz sieht auch bestimmte „Kindeswohlschwellen“ vor, die für den Sachverständigen handlungsleitend sind, wenn sie im richterlichen Beschluss definiert wurden (Salzgeber, 2011, Abs. 20f). Dettenborn (2008a, S. 578f) grenzt hierzu drei Gebrauchskontexte ab. 1) Bei der „Bestimmung der Bestvariante“ soll die Frage geklärt werden, welche Entscheidung „dem Wohl des Kindes am besten entspricht“ und findet sich als Kindeswohlschwelle im BGB (§§ 1671, Abs. 2). 2) Bei der „Genug-Variante“ wird keine optimale Lösung mehr angestrebt. Es reicht aus, wenn die Entscheidung „dem Wohl des Kindes dient“ (z. B. §§ 1741 Abs. 1 BGB). 3) Die „Gefährdungsabgrenzung“ zum Beispiel zur Gefahrenabwehr bei „missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge“ (§§ 1666 Abs. 1 BGB).

Die Erziehungsfähigkeit setzt sich aus beobachtbaren Merkmalen, wie das Erziehungsverhalten und Verhaltensdispositionen, wie Erziehungsstile, Erziehungseinstellungen, Erziehungskenntnisse und speziellen Kompetenzen zusammen und orientiert sich an den altersgerechten Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes (Walter, 2008, S. 595). Die Abwägung unterschiedlicher Erziehungsmethoden oder -stile, jenseits der Kindeswohlgefährdung, scheidet jedoch sowohl wegen des vorbehaltlosen Erziehungsrechts als auch wegen widersprüchlicher psychologischer und pädagogischer Sichtweisen als Kriterium aus (Salzgeber, 2011, Abs. 1351).

Eine Beurteilung der Erziehungsfähigkeit ist immer im Hinblick auf das Kindeswohl zu treffen (Salzgeber, 2011, Abs. 1450; Walter, 2008, S. 595). Das Kindeswohl wiederum ist im Rahmen des Gesetzes kein eindeutig definierter Begriff. Er setzt sich vielmehr in Auseinandersetzung mit dem Lebenskontext des Kindes dynamisch aus verschiedenen positiv und negativ Kriterien zusammen. Dabei wird grob auf die UN-Kinderrechtskonventionen (Castellanos & Hertkorn, 2014, Abs. 102) und das Grundgesetz Bezug (Salzgeber, 2011, Abs. 11) genommen. Ziel ist demnach, die „gesunde Entwicklung eines Kindes“ zu einem „zufriedenen, beziehungsfähigen und lebenstüchtigen Erwachsenen“ zu ermöglichen (Castellanos et al., 2014, Abs. 105). Zu den positiven Kriterien gehören nach Castellanos et al. (2014, Abs. 105) neben einer stabilen „emotionalen Versorgung, der Kontakt zu mehreren, Halt gebenden, emotional verfügbaren Bezugspersonen, möglichst beiderlei Geschlechts“ auch ein Recht auf „emotional positive, Selbstwert und Selbstwirksamkeit bestätigende Erlebnisse“ und „altersgemäße außerfamiliäre soziale Bezüge“. Als negativ Kriterien fügen die Autoren ein Recht auf „möglichst wenig Konfrontation mit schweren Belastungen“ an.

Rechtliche Grundlagen zur Kindschaftsrechtsreform

Am 1. Juli.1998 ist das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16.12.1997 in Kraft getreten. Damit sind Änderungen im Abstammungsrecht, der elterlichen Sorge, des Namens-,  Adoption- und Verfahrensrecht enthalten. Im Weiteren werden auf die Auswirkungen für das Sorge- und Umgangsrecht eingegangen (Oberloskamp, 2012).

Bevor der Begriff der „Elterlichen Sorge“ geprägt wurde, wurden im BGB noch von der „väterlichen Gewalt“ gesprochen. Uneheliche Kinder erhielten in der Regel einen staatlichen Vormund, der Vater hatte keine Möglichkeit die väterliche Gewalt zu erwerben. Mit einer Gesetzesreform im Jahr 1969 Nichtehelichengesetz, werden eheliche und uneheliche Kinder gleichgestellt. Hierdurch wurden die Rechte der Kinder und Mütter gestärkt. Der Vater hat jedoch nur ein Auskunftsrecht gegenüber der Mutter und kaum Möglichkeiten ein Umgangsrecht durchzusetzen gegen den Willen der Mutter. Der Begriff der „Elterlichen Sorge“ wird mit einem entsprechenden Reformgesetz 1980 eingeführt. Die verheirateten Eltern haben grundsätzlich ein gemeinsames Sorgerecht. Ein gemeinsames Sorgerecht für ein nicht eheliches Kind ist nicht vorgesehen. Im Scheidungsverfahren wird der Fortbestand der elterlichen Sorge zwingend geprüft. Ein Umgangsrecht kann nur der nicht sorgeberechtigte Elternteil (bei nicht ehelichen nur auf richterliche Anordnung) erwerben (vgl. Oberloskamp, 2012).

Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 („Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts“, 1997) können nicht verheiratete Paare die gemeinsame Sorge übernehmen, wenn sie diesen Willen durch eine „Sorgeerklärung“ ausdrücken, „im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge“ (§ 1626a). Ohne die Zustimmung der Mutter kann der Vater die alleinige Sorge nur erlangen, wenn die Mutter die Sorge wegen Kindeswohlgefährdung entzogen wird (§ 1666). Aber auch bei Einigkeit über die väterliche Sorge bedarf es der richterlichen Prüfung. Nach Scheidung folgt eine Prüfung der elterlichen Soge nicht mehr zwangsläufig, das gemeinsame Sorgerecht besteht fort, wenn kein anderslautender Antrag gestellt wird (§ 1671).

Im § 1626 wird anerkannt, dass zum Kindeswohl der Umgang mit beiden Elternteilen, aber auch mit anderen förderlichen Personen gehört. Damit hat bei unehelichen Kindern auch der Vater ein grundsätzlich ein Umgangsrecht (§ 1684).
Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010 kann ein Elternteil eines nicht ehelichen Kindes, entgegen der Regelung im § 1626a Abs. 1 und § 1672 Abs. 1 BGB, Antrag auf gemeinsame oder auch alleinige Sorge stellen, wenn es dem Kindeswohl dient. Damit werden die Rechte der Väter nicht ehelicher Kinder gestärkt („Das Bundesverfassungsgericht“, o. J.).

Am 01.03.2013 werden die o.g. Regelungen im „Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern“ umgesetzt („Bundesrat - Pressemitteilungen - Mehr Rechte für unverheiratete Väter“, 2013). Am 07.06.2013 wird im „Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters“ geregelt, dass das Umgangsrecht nicht mehr an eine bereits bestehende persönliche Beziehung zum Kind gebunden sein darf, sondern am ernsthaften Interesse am Kind und am Kindeswohl („Bundesrat - Pressemitteilungen - Mehr Rechte für leibliche Väter“, 2013).

Quellen:

 

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